Rund um Fünen mit dem Kajak

Rund um Fünen mit dem Kajak

von Christian Br.: … am Anfang zunächst eine Übersichtskarte:

Rund um Fünen mit dem Kajak

Ende Mai 2022 wollte ich meinen dreiwöchigen Urlaub nutzen, um die dänische Insel Fünen im Uhrzeigersinn zu umrunden. Das hatte ich einige Jahre zuvor schon einmal gemacht. Nachdem ich zu Beginn meines Urlaubs wegen des anhaltend schlechten Wetters bereits einige Tage ungenutzt verstreichen lassen hatte, packte ich am Dienstag Alberta, mein Kajak, aufs Autodach und fuhr nach Korshavn auf Fünen (nordöstliche Spitze), das diesmal mein Startpunkt sein würde. Korshavn ist ein ungeeigneter Startpunkt, wie mir bald deutlich wurde, weil es bei einem vorzeitigen Abbruch der Reise nur schwer mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist und weil der einzige öffentliche Parkplatz bei Sturm nicht vor der salzigen Gischt der Brandung geschützt ist. Nachdem das Parkplatzproblem gelöst und das überladene Kajak gepackt war, startete ich in der Mittagszeit. Bei schwachem Wind paddelte ich rund um die schöne und zerklüftete Steilküste von Fyns Hoved, die mit ihrem Steinstrand, weidenden Schafen und zerzausten Büschen von der Sonne angelacht wurde.

***Fyns Hoved***

Nach einer kleinen Pause am Strand auf der Ostseite der Landspitze südlich des Naturschutzgebietes paddelte ich an dem Tag noch die einsame Küste südwärts bis zum Hverringe Camping nahe Viby, wo ich mir wegen des angekündigten schlechten Wetters für zwei Nächte eine winzig kleine Hütte, den „Starenkasten“ mietete. Strandspaziergänge, Lesen und Schlafen füllten den regnerischen und windigen nächsten Tag aus. Vom Fenster aus war draußen im Großen Belt die Insel Romsö sichtbar. Irgendwann möchte ich mal rüber paddeln, weit ist es ja nicht, aber mit Strömungen ist zu rechnen.

***Der Starenkasten***

Bevor es am nächsten Tag weiterging, baute ich mir einen bereits zu Hause vorbereiteten Ausleger aus einer Schaumunterlage für Gartenarbeiten, einer Badenudel und Bambusstäben ans Boot. Ich wollte nur für ein, zwei Tage mal ausprobieren, wie das ist. Wegen des Bastelns kam ich erst spät am Vormittag los. Einige Schweinswale waren zu sehen. Bei leichtem Wind und Sonne lagen Romsö und Kerteminde bald achteraus.

***Romsö***

Südlich der Stadt gibt es eine bewaldete Steilküste mit Resten einer Betonmauer und umgestürzten Bäumen im Wasser. Fand ich ein wenig unheimlich. Darauf folgte ein Damm mit der Autostraße, die direkt am Ufer entlang läuft. Auch nicht so schön. Aber ich entdeckte, dass es entlang des Damms Buhnen gibt, die den Sand festhalten. Gut für eine Pause, ohne das Boot an den sonst üblichen Steinstränden noch mehr zu zerkratzen. Bei der Weiterfahrt blieb es sonnig und schwach windig.

***Der Ausleger***

Bald schon war weit voraus die riesige Große-Belt-Brücke zu erkennen. Gegen Abend hatte ich Skabohuse passiert und das nördliche Nyborg erreicht. Am Campingplatz war ich längst vorbei (irgendwann werde ich mir ein Smartphone kaufen und dann finde ich alles!) und es war spät geworden. Ein schönes sandiges Ufer mit Bäumen und einer Wiese tat sich vor mir auf und ich sprach ein junges Ehepaar beim Abendspaziergang an: „Meint ihr, ich könnte hier einige Stunden bis zur Weiterfahrt pausieren?“ „Äh nee, das hier ist der Park von unserem Stadtteil!“ „Oh!“ Der junge Mann gab mir einen Tipp von einer geeigneteren Stelle mit Toilette und Picknicktisch und half mir noch dabei, das schwere Boot auf dem Bootswagen durch den lockeren Sand zu zerren, um es anschließend über einen schmalen gewundenen Pfad zu dem besseren Platz zu rollen. Ich fragte die beiden: „Ist es hier gefährlich?“ Die Frau schüttelte den Kopf. „Nein, es gibt hier nur so Tiere.“ Sie zeigte deren Größe und hielt dabei ihre Hände etwa 30 bis 40 cm auseinander, ohne die Tiere (auf englisch) benennen zu können. Ich stellte mit kleinere Füchse oder Rieseneichhörnchen vor. Irritiert schaute ich sie an: „Also, ich meinte eigentlich Menschen. Gibt’s hier Menschen, die mir was antun könnten?“ (ich komme aus Kiel!). Die Beiden schauten sich ungläubig an und schüttelten den Kopf. „Bei uns? Nein!“ Tatsächlich wirkten die Leute, die später joggend oder mit Hund vorbeikamen, nicht bedrohlich. Fast alle sprachen mich höflich an, interessiert an meiner Paddeltour. Hinter dem Wald musste ein wohlsituierter Stadtteil liegen.

Mit dem ersten Tageslicht ging es weiter. Auf meiner letzten Tour musste ich die Große-Belt-Brücke unter fiesen „Rodeo-Paddel-Bedingungen“ passieren, weil der Wind gegen eine kräftige Strömung stand. Diesmal kam ich mit einem Plan, die Brücke zu umgehen. Schon zu Hause hatte ich mir im Internet auf der Map alles genau ausgeguckt. Beim Sinature Hotel wollte ich am Strand anlanden, das Boot auf dem Bootswagen über den Storebältsvej und die E20-Brücke schieben, nebenbei beim Discounter einige Flaschen Wasser kaufen und dann links in den Fjordvej abbiegen um so nach einigen wenigen Straßen-Kilometern auf der anderen Seite wieder ins Wasser einzusetzen. Bei schwachem Wind und warmen Sonnenschein wuchtete ich das schwer beladene Boot auf den Bootswagen und musste jetzt nur noch die 10 Meter über den losen Sand bis zum ausgelegten Bretterweg überwinden. Da legten vier supersportliche Sit-On-Top-Kajak-Paddler*innen an. Ein sehr junger Mann sprang aus dem Boot und half mir dabei, meinen Frachtsegler durch die Wüste zu zerren. Auch die drei jungen Frauen der Gruppe verließen ihre Sit-On-Tops für eine Pause. Der Mann berichtete, dass sie aus Kopenhagen seien und von Nyborg nach Kerteminde paddeln wollten. Mein Umtrage-Vorhaben sei unnötig. Sie seien gerade stressfrei unter der Brücke durchgepaddelt. Ich würde minimale Wellen und eine leichte Gegenströmung vorfinden. Also half er mir dabei, mein Boot durch den Sand wieder zum Wasser zurückzuschieben. Meine Trinkwasserflaschen füllte ich auf der nahegelegenen Toilette. Die Durchfahrt war wie beschrieben und es gab viele Angelboote. Als das verfallene Fährbecken von Knudshoved und die Marineheimwehrstation hinter mir lagen, querte ich den Nyborg Fjord weiter draußen in gerader Linie hinüber nach Tarup Strand, doch der Wind drehte und kam nun von vorn, so das ich das Segel nicht nutzen konnte. Alberta ist mit winzig kleinen Segeln ausgestattet, die auf so langen Kursen bei etwas Wind durchaus unterstützen.

***Bei Nyborg // Brücke über den großen Belt***

Irgendwo in der Höhe von Revsöre vermisste ich die ca. drei Kilometer vor der Küste, im großen Belt liegende, Sandinsel Vresen, „Fünens Atlantis“ (weil sie langsam im Meer ‚versinkt‘). Erst nach dem Ersteigen einer kleineren Steilküste wurde das flache Vresen deutlich sichtbar. Bei dem schönen Wetter war gegenüber im Osten auch bald die Nordspitze Langelands mit dem Hafenort Lohals erkennbar. Abends erreichte ich Lundeborg, einen malerischen, aber sehr touristisch geprägten kleinen Ort, dessen größter Anziehungspunkt sein Sportboothafen ist. Am Campingplatz nördlich des Ortes fuhr ich vorbei; hatte ich doch im Internet gelesen, dass es direkt oberhalb des Hafens eine „Paddlerwiese“ gäbe, wo für eine Nacht ein kleines Zelt aufgebaut werden dürfe. Müde schob ich das Boot den steilen Berg hinauf und fand eine weitgehend ungemähte Wiese mit hölzernen Bänken und Tischen und einem wunderbaren Blick über die Ostsee vor. Während meines Abendessens kam eine freundlich interessierte alte Dame vorbei, die ihren pflegebedürftigen Mann führte. Im Gespräch wurde mir deutlich, dass es keine Paddlerwiese war, sondern ein kleiner Park. Auf meine Frage, ob ich denn jetzt zum Campingplatz am anderen Ende des Ortes umziehen solle, antwortete sie: „Hiermit hast du meine ganz persönliche Erlaubnis, hier zu zelten! Ich darf das! Ich wohne schon viele, viele Jahre in meinem Häuschen gleich da drüben.“ Ich dankte ihr freundlich, sie schien mein Erschöpftsein bemerkt zu haben. Lundeborg bot alles, was ich brauchte, eine Toilette, einen Frischwasserhahn und einen Picknicktisch.

***Lundeborg***

Als die Sonne hinter dem grünen Randbewuchs meiner Wiese leuchtend orange aus dem Wasser stieg, war ich schon hoch. Blauer Himmel, der noch schlafende Hafen und die Ostsee lagen in völliger Windstille unter mir. Am östlichen Horizont war die etwa acht Kilometer entfernt liegende Insel Langeland gut sichtbar. Ohne Eile, aber zügig war alles zusammengepackt, Frischwasser gebunkert und los ging es. Stundenlang glitt ich, zunächst über Sandbänke südwärts und bewunderte unter der glatten Wasseroberfläche die wechselnde Beschaffenheit des Meeresgrundes. Einmal sah ich einen größeren Fisch. Ein aufkommender Lufthauch verursachte winzige Wellen, die Ostwind ankündigten. Gelegentlich begleiteten mich Schweinswale. Ganz dicht paddelte ich unterhalb von dem rot-weiss gestreiften kleinen Leuchtturm von Elsehoved vorbei. Der Ostwind blieb und gewann allmählich an Kontinuität, als ich weiter draußen auf direktem Weg die nächste, etwas tiefer eingeschnittene Bucht durchquerte. Skarupöre kündigte sich durch seine aufgeschüttete Steinböschung an, die sich zum Schutz der Straße über 1,6 Kilometer erstreckt. Ich freute mich schon auf den am Südende der Steinschüttung liegenden Skarupöre-Strandkiosk, denn hier wollte ich mir als Belohnung für die vollendete Ostküstenstrecke Fünens einen großen Hamburger gönnen. Das Anlanden an dem Picknickplatz wurde wegen der Ebbe etwas beschwerlich. Ein gepflegter US-Straßenkreuzer aus den 1960ern glitt auf der kleinen Landstraße leise vorüber. Paare waren in dem traumhaftem Sommerwetter auf ihren Fahrrädern unterwegs und ließen sich an den benachbarten Strandtischen nieder, während ich mein anschließendes Eis genoss. Als ich in mein Boot stieg, ahnte ich noch nicht, dass dies heute meine einzige Pause sein sollte. Überhaupt ahnte ich nicht, dass der restliche Tag noch ziemlich anstrengend werden würde.

Westwärts in den Skarupöre Sund einlaufend schob mich der sich allmählich verstärkende Wind (ich hatte zur Unterstützung das Segelchen gesetzt), während ich gleichzeitig mühsam gegen den Ebbstrom anpaddelte, der mir aus der Enge wie ein Fluss entgegen strömte. Stark wurde die Gegenströmung an der engsten Stelle, zumal ich mich wegen der vielen Angler an beiden Ufern in der Mitte halten musste. Nun weitete sich das Gewässer für die nächsten drei Kilometer. Erstaunt stellte ich fest, dass ich nicht wie beim letzten Mal einfach mittendurch paddeln konnte, sondern der gewundenen Fahrrinne folgen musste. In der Mitte waren große Flächen des Gewässers wegen der Ebbe trockengefallen. Mittels der bald darauf folgenden kleinen Brücke kann der Thurödamm durchfahren werden. Segelboote und große Motorjachten mussten jedoch den Umweg außen um die Insel Thurö in Kauf nehmen, aber kleinere und mittlere Motorboote kürzten wie ich den Weg durch den Skarupöre Sund ab. Es kamen mir immer weitere entgegen, bis ich die Durchfahrt endlich wagte. Unter der Brücke strömte mir das Wasser wieder kräftig entgegen. Zwei junge Inuit-Mütter beaufsichtigten auf der Böschung herum kletternd ihre angelnden Kinder. Wir grüßten uns freundlich.

Westlich vom Thurödamm befand ich mich unvermittelt unter einer Vielzahl von Freizeitbooten aller Größen und Kategorien, die auf dem Svendborg Sund in alle Richtungen durcheinander unterwegs waren. Das Wetter war super. Es war Sonntag. Pfingstsonntag! Ich querte auf die Südseite des Gewässers und fuhr westwärts im flachen Wasser dicht am Svendborg Sund Camping vorbei, um dann erneut in Richtung Svendborg Lystbadehavn auf die für mich rechte Fahrwasserseite zu queren. Die weit in den Sund hinausragende Beton-Rundmole dieses Sportboothafens zwang mich weit mehr ins Fahrwasser hinein, als mir lieb war. Konzentriert steuerte ich die von den direkt neben mir vorbei brummenden großen Motorbooten erzeugten Wellen aus. Es wurde freundlich gegrüßt. Der Rückenwind hatte ordentlich an Kraft hinzugewonnen und stand gegen die kräftige Strömung von vorn, was fiese kabbelige Wellen und seltsame kreisförmige Stromwirbel verursachte. So näherte ich mich den Pfeilern der großen Svendborgsundbroen. Das Fahren unter diesen Bedingungen empfand ich als nicht wirklich bedrohlich, zumal Alberta unter ruppigen Bedingungen gut im Wasser liegt und das Segelchen zusätzlich stabilisiert. In der Fahrrinne zogen die Fähren nach Aerösköbing, Skarö und Drejö an mir vorbei.

Plötzlich schrie ich vor Schreck auf. Direkt neben meinem linken Paddelblatt kamen parallel zu mir Rücken und Flosse eines großen Tieres aus dem Wasser geschnellt. Ich musste konzentriert bleiben und konnte nicht groß zu Seite schauen. „Sicherlich ein Schweinswal“, dachte ich zuerst. Und dann: „Das Grau ist viel zu hell und das Tier viel zu groß für einen Schweinswal“. Der Delfin war mir unheimlich, so kraftvoll und nah. Er blieb die nächste halbe Stunde bis etwa Rantzausminde bei mir, jagte nach Fischen und kam immer wieder dicht neben meinem Boot weit aus dem Wasser. Möglicherweise empfand er oder sie mein geräuschloses Boot, auch von der Größe her, als einen am ehesten geeigneten Partner. Obwohl ein beeindruckendes Naturerlebnis, hatte ich doch mächtig Respekt vor dem muskulösen Tier, das mein Kajak mit Leichtigkeit hätte umschmeißen können.

Am Ufer gab es manch schönes Anwesen mit parkartigen Gärten und Bootsstegen zu bestaunen. Bei einem solchen sah ich einen durchtrainierten braungebrannten jungen Mann rasch auf sein schmales SUP springen und eilig in meine Richtung paddeln. „Bloß weg!“, dachte ich, „der will mich bestimmt wie so oft nach dem ‚woher‘ und ‚wohin‘ befragen.“ Er und sein Begleiter waren jedoch schneller als ich und es war dann auch wie erwartet, nur dass er bei näherer Betrachtung schon ein Senior war. Zum Glück wurde ich hier den Delfin los, denn der schloss sich nun den beiden in entgegengesetzter Richtung zurückfahrenden SUP-Paddlern an. Das Gewässer weitete sich allmählich. Vermutlich wollte das Tier wieder in die stärker strömenden fischreicheren Engen des Sundes zurück.

Westlich vom Rantzausminde Camping endete die Bebauung des „fünschen“ Ufers. Vereinzelt genossen Paare und Familien die naturbelassenen Strände. An Backbord lag die Insel Skarö. Gerade hatte ich beschlossen, den tüchtigen Schiebewind, der gut zugelegt hatte, noch einige Stunden bis kurz vor Einbruch der Dunkelheit zu nutzen und überquerte mutig unter Besegelung weiter draußen die Bucht vor dem Sportboothafen Ballen, als plötzlich der Wind auf West drehte und mich kräftige Böen umzuwerfen drohten. Rasch war das Segel geborgen und Kurs genommen auf den steuerbord voraus aufkommenden Campingplatz ‚Syltemae‘.

***Shelter mit Plane bei Camping-Lars***

Camping-Lars, wie der Inhaber von Einheimischen genannt wurde, vermietete mir einen Shelter mit Plane gegen den zu erwartenden Regen, so dass ich das Zelt nicht aufzubauen brauchte. Hier blieb ich drei Nächte, las und kochte in dem winzigen Aufenthaltsraum des naturnahen und nachhaltig geführten kleinen Campingplatzes. Kaltes, herbstliches Wetter. Unter anderem lernte ich eine humorvolle Physiotherapeutin und ihren Mann aus dem nördlichen Großraum Kopenhagen kennen. Draußen zauberten Schauerböen aus Südwest weiße Schaumkronen auf die Bucht. Der Regen flog fast waagerecht. Ich wurde immer ruhiger und gelassener; der Abstand vom Alltag gelang. Nach Pfingsten leerte sich der Campingplatz ziemlich. Schließlich kam die Sonne durch. Eine schwüle gewitterige Stimmung lag über der hügeligen Landschaft und ich mietete mir von Lars ein Fahrrad. Er hatte es schon vorbereitet und überreichte mir ein ziemlich neues E-Bike. Ich sagte: „Oh, ich dachte eigentlich an ein normales Fahrrad!“ und nach kurzem Überlegen: „aber warum eigentlich nicht. Dann kann ich damit gleich mal erste E-Bike-Erfahrungen sammeln.“ Das gefiel Lars aber nicht so und er brachte mir flugs ein älteres Kildemoes-Damensportrad mit knallhartem schmalen Sattel. „Das ist auch nur halb so teuer“, lockte er. Es lief schnell und leichtgängig und der Sattel motivierte mich dazu, längerfristig das Abnehmen anzugehen. Ich radelte zum Einkauf im Dagli‘ Brugsen nach Ollerup und besichtigte auch die Umgebung, zum Beispiel das Syltemade Adal, einen Sumpfbach, der bei dem Wetter subtropisch anmutete.

Mittwoch, 8. Juni 2022. Der Start von der Betonrampe des Campingplatzes aus war bei dem auflandigen Wind etwas ruppig. Von kabbeligen Wellen nassgespritzt hielt ich bei seitlichem Wind Kurs auf den Ausgang des Nakkebölle Fjords. Nachdem die kleine Insel Store Svelmö achteraus lag, beschloss ich, die Hansebugt ungefähr von Kidholm aus bis zum nordwestlichen Ende der Insel Björnö diagonal zu queren. Eigentlich wollte ich die längere und sicherere Variante an Fünens Südküste entlang bis zum Hafen von Faaborg paddeln und den Faaborg Fjord entlang des Ufers ausfahren. Danach hätte ich mich aber gegen den Wind zum Kap Knolden südlich von Dyreborg vorarbeiten müssen. Die direkte Überquerung zur Nordwestecke von Björnö war bequemer und kürzer, bedeutete für mich aber auch, über eine Strecke von ca. 5 Kilometern über offenes Wasser zu fahren. Davor habe ich Respekt und mache das allein nur ungern, obwohl mir bewusst ist, dass manche Paddler*innen Überquerungen von 5 oder 10 Kilometer ganz normal finden. Es klappte alles gut. Andere Boote oder Schiffe waren nicht in der Nähe. Bei halbem Wind, der beständig mein Segelchen füllte, hielt ich auf die Nordwestspitze von Björnö zu, wo ich anschließend kurz pausierte. Hinüber zur Landspitze Knolden war es jetzt nur ein kleiner Hopser bei strahlendem Sonnenschein. Ein älteres deutsches Paar, ganz mit sich selbst beschäftigt, glitt in seinem kleinen Kajütsegelboot an mir vorbei, hinaus in das Inselmeer der dänischen Südsee. Nach der Rundung des Knolden folgte ich bei leichtem achterlichem Wind dem weiteren Küstenverlauf in nordwestlicher Richtung. Drüben im Hafen der Märcheninsel Lyö war maritimes Leben sichtbar. Ich hingegen war wieder ganz allein auf dem Wasser und ein leichter achterlicher Wind schob mich immer weiter, vorbei an einsamen Steilküsten, Landwirtschaft und den scheinbar menschenleeren Feriensiedlungen von Horneland.

Es ging allmählich gegen Abend, als ich Sönderhjörne gerundet und die Mole des Fährhafens von Böjden in nördlicher Richtung passiert hatte. Mein Plan war, auf dem weithin sichtbaren Campingplatz von Böjden Strand zu nächtigen. Nach dem Stand der Sonne würde es noch einige Stunden hell sein und das Wetter blieb weiterhin lieblich und mild. Also entschied ich mich spontan dazu, die bevorstehende Querung über die breite Öffnung der Helnäs Bugt noch am Abend anzugehen. „Wer weiß, wie die Bedingungen morgen sein werden“, dachte ich und paddelte auf Illum zu, folgte dem Verlauf des südlichen Ufers der unbewohnt wirkenden, langgezogenen Insel, um dann Helnäs Strand anzusteuern, das ich in dem blendenden Gegenlicht der Sonne nicht erkennen konnte. Die Schokolade an Deck war geschmolzen, der Wind eingeschlafen. Ich paddelte ein Stück in Richtung Norden bis zu einem Waldrand, weil dort auf meiner Karte das Symbol eines Campingplatzes aufgedruckt war, den ich aber nicht fand. Also zurück zum Steg von Helnäs Strand. Friedlich und verschlafen in der Vorsaison gab es hier dennoch alles, was ich mir wünschte: Die Wiese eines Bootslagerplatzes mit einem Badeponton (mein Tisch) und auf dem Parkplatz dahinter eine Toilette mit Frischwasser sowie Müllcontainer. Gerade hatte ich mein Zelt aufgebaut, als mich ein junges, sehr freundliches Schweizer Paar aus dem Wallis besuchte. Ihr Kleinbus-Wohnmobil stand auf dem Campingplatz unweit des Toilettenhäuschens (auf meiner nächsten Tour werde ich ein Smartphone haben und alles finden, was ich suche!). Am Vortag waren sie an Jütlands Nordseeküste und am nächsten Tag wollten sie sich Kopenhagen ansehen. Sie hatten viele Fragen bezüglich meiner Paddeltour. In der Nacht regnete es, doch als ich morgens mein Zelt zusammenpackte, war es schon wieder getrocknet.

Donnerstag, 09. Juni 2022. Früh machte ich mich bei Sonnenschein und schwachem Wind auf die Weiterreise. Wegen eines Regenschauers fuhr ich nach kurzer Zeit ans Ufer und beobachtete eine ältere Dame, die ihrem großen Hund Kunststücke beigebracht hatte. Die Umrundung der südlichen Spitze von Helnäs zog sich hin. Ein einsamer Angler im grauen Tretkajak vor graublauem Hintergrund grüßte; das einzige andere Boot heute. Endlose Steilküsten, bewachsen mit vom Wind geformten Gebüsch. Abgestürzte Bäume, Schwalbennester im sandigen Kliff, endlich der eckige weiße Leuchtturm von Lindehoved: Helnäs Fyr. Bei auffrischendem Wind paddelte ich an dem aufgeschütteten Fahrdamm, der Helnäs mit Fünen verbindet, entlang. Der auflandige Wind ließ die sich rasch aufbauenden Wellen gegen die Steinschüttung klatschen. Unangenehm! Nördlich der Mole von Agernäs Havn zog ich mein Kajak für eine Pause auf den Strand und sah mich um: Picknick-Tische, ein kleiner Parkplatz, umgeben von Wildpflanzenwiesen. Die schwach befahrene Straße zum Helnäs-Damm. Eine weiße Hütte unweit des Hafens beherbergt interessante lokale geschichtliche Informationen mit Fotos über die frühere Fischerei, die ehemalige Rüben-Lorenbahn, einen abgestürzten britischen Handley-Page-Halifax-Bomber sowie über zwei in jüngerer Vergangenheit über Helnäs zusammengestoßene F16-Fighting-Falcon-Jets, die dann ebenfalls abgestürzt sind.

Eine ältere Dame erzählte mir, wenige Kilometer weiter gäbe es einen Campingplatz. Ich stieg wieder ins Boot und war bald nahe dem Aa Strand Camping (ohne ihn sehen zu können), mochte aber wegen der Brandung nicht an dem steinigen Strand anlanden. Denn der Wind nahm plötzlich fies zu und ich kehrte um; lief diesmal direkt in das ruhige Wasser des Hafenbeckens von Agernäs Havn ein und zog das Boot auf dem Bootswagen die Rampe hoch. Aquashell und andere Kleidung waren nass vom Salzwasser. Es gab eine Toilette, Frischwasser und einen Mülleimer, alles was ich brauchte. Essen hatte ich noch genug. Am Rand des Hafengeländes versuchte ich mein Zelt aufzubauen, doch die starken Böen zerrten und rissen und drückten es einfach platt. Zum Glück zerbrach keine der Alustangen. Ich stopfte das ganze Zeltzeugs so wie es war ins Cockpit des Kajaks, sicherte es mit Gummistropps und rollte weiter auf der Suche nach einer windgeschützten Stelle. Einen freundlichen Mann mit zwei Hunden bat ich um den Wetterbericht aus seinem Smartphone: Er schüttelte den Kopf: bis Dienstag starker Wind. Na toll! Gedanken, die Tour abzubrechen schlichen sich ein. Strahlender Sonnenschein lag über den glitzernden Schaumkronen. Dann näherte sich eine düstere Wolkenwand mit Nieselregen. Im Nachhinein wäre ich doch lieber innen entlang durch die Helnäs Bugt gepaddelt. Erstens war das kürzer, zweitens kannte ich die Binnenseite von Helnäs noch nicht und drittens schob ich hier sowieso mit dem Kajak durch die Gegend, wo ich sonst hätte umtragen müssen.

***Agernaes***

Freitag, 10.06.2022. Start Agernäs Havn. Ich hatte Respekt vor dem angesagten Wind, wollte ja eigentlich schon aufgeben. Ein Passant gab mir den aktuellen Wetterbericht: 4 Bft, in Böen 8 m/s. Völlig ok! Also los! Kleines Segel? Nee, großes! Gut und schnell kam ich bis Torö; hatte über lange Strecken raumen oder achterlichen Wind. Konnte immer wieder mit dem beladenen Kahn ansatzweise surfen. Ganz kurze Pause am Strand auf der Nordspitze von Thorö. Ab Assens wurden die achterlichen Wellen zunehmend größer, der Wind stärker. Anstrengend! Konzentration. Gut, dass ich den Ausleger hatte. Der Campingplatz von Sandager Näs war vom Wasser aus nicht erkennbar. Auch nicht die nördlich davon gelegene kleine und flache Einfahrt in das Sumpfgebiet Emtekaer Nor, worüber die Rückseite des Campings per Boot erreichbar ist. In dieser Ecke der Bucht gab es bei etwas frischeren westlichen Winden jedesmal „Danz-op-de-Deel“, chaotische Wellen, die sich auf dem flach auslaufenden Sandgrund aufbauten. Ich hätte viel weiter draußen paddeln müssen, am besten von der Bagö-Nordostecke im tiefen Wasser direkt auf Wedellsborg Hoved zu (so wie vor Björnö). Aber das habe ich mich nicht getraut, allein und bei diesen Bedingungen. Erschwerend kamen mir immer wieder Gruppen von nicht mehr genutzten Stellnetzpfählen in die Quere, die umfahren werden wollten. Das ging so bis Wedellsborg Hoved; zum Glück wurden die Wellen allmählich gleichmäßiger. Wedellsborg Hoved ist ein Kap mit einer niedrigen Steilküste. An seiner Südseite bei Rördam liegen Reste eines Minihafenbeckens aus verrostetem Stahl und Beton im flachen Wasser; unangenehm bei windigem Wetter. Seltsamerweise beruhigten sich Wind und Wellen, so dass ich die Landspitze bequem runden konnte und an ihrer Nordseite nahe einem kleinen Anleger für Arbeitsboote am Strand Pause machte. Es war still; kein Mensch weit und breit. Nur Feuchtgebiete, Robustrinder und Wald. In der Nähe lautes Trompeten von Vögeln. Kraniche? Mal sehen, ob morgen der angekündigte starke Wind kommt! Erst jetzt wurde mir bewusst, wie müde ich war und ich beschloss, hier mein Zelt aufzubauen. Es war eine ruhige Nacht auf hartem Boden und als ich in der Frühe rausschaute, grasten nahebei drei Rehe.

Samstag, 11.06.2022. Friedliche Stimmung. Sandstrand. Kein Mensch. Morgendlicher Tau. Die Sonne stieg aus dem Seenebel auf. Es gab eine Mülltonne. Ich hatte gelernt: Der Wind würde erst mit der kräftigen Sonnenstrahlung aufkommen. Wenn ich früh starten würde, hätte ich einige ruhige Stunden. Start also ca. 8:00 Uhr: Ich beschloss Tybrind Vig entlang des Ufers auszupaddeln, weil ich die kilometerlange offene Querung scheute. Keine Boote waren zu sehen, die mich im Notfall hätten retten könnten. Nach ein paar Minuten änderte ich meine Meinung, kürzte ab und hielt diagonal auf das weiße Schloss nordöstlich von mir zu. Einige weitere Minuten später änderte ich abermals den Kurs und querte Tybrind Vig bei leichtem Wind auf dem kürzesten Weg nach Aalehoved hinüber. Schon bald war ich in der Föns Vig, die ich ebenso direkt querte. Hier hätte sich bei Föns die Möglichkeit geboten, wenige Kilometer bis nach Sophienlyst Slot umzutragen und dort in den mir unbekannten Gamborg Fjord einzusetzen.

Ich entschied mich jedoch für den mir bekannten Weg und hielt in der Föns Vig auf Tönnäs Odde zu, um dann westlich von Fönsskov Middelfart anzusteuern. Vom achterlichen Wind wurde ich mit meinem Segelchen kräftig geschoben, obwohl die Wellen sich (noch) nicht allzu hoch aufbauten. Ich freute mich schon auf die ruhige Durchfahrt durchs geschützte Snaevringen: keine hohen Wellen, kein Stress, dachte ich. Tatsächlich erwartete mich bei der Einfahrt in die Meerenge südlich von Middelfart „Rodeo-Paddeln“; eine kräftige Strömung stand gegen den zunehmenden Wind (heute hatte ich keinen Wetterbericht gehabt). Ich querte nach Faenö hinüber und paddelte am östlichen Ufer der Insel nach Norden: Nervig! Aus den Baumlücken heraus starke Böen, im Waldschutz Flaute. Unter der eisernen „gamle Lillebaeltsbro“ kreuzte eine gepflegte klassische Rennyacht mit Stars and Stripes Banner am Heck in entgegengesetzter Richtung; ein schöner Anblick. An einem kleinen Strand beim Roklub legte ich an und füllte im benachbarten Kongebro-Havn meine Wasserflaschen auf. Kurze Pause, einige Fragen von Passanten beantwortet und weiter ging es. Vor der Waterline von Middelfarts Altstadt legte der Wind nochmals eine Schaufel nach.

Eine unter Maschine quer vor mir manövrierende größere Segelyacht versperrte mir den Weg. Der Kapitän am Ruder wollte seine Mannschaft (die zweite Person) über den Bugkorb auf die Pier steigen lassen und hatte sein Boot nur unter Schwierigkeiten im Griff. Es gelang mir, sie zu umschiffen. Viel Sonne heute, der Wind stark, böig. Und Strömung. Im letzten Moment vor einer drohenden Kenterung nahm ich mein Segelchen herunter. Der Vorteil des Lateinersegels: Es fällt einfach an Deck. Ich näherte mich der Steinböschung der mächtigen Autobahnbrücke. Steinböschungen in Lee mag ich unter solchen Bedingungen gar nicht. Vorsichtig traute ich mich daran vorbei. Entgegen meiner Erwartung war es unter der Brücke nicht windig. Aber was war das? Vor mir ankerten hunderte von Booten aller Größen und Arten. Hier war doch sonst nie ein Ankerfeld gewesen! Sollte ich die alle jetzt ungeschützt weit draußen umfahren? Nein, mitten durch! Steuerbords an Land erkannte ich eine große Bühne, Zäune, Sicherheitsleute. Das Musikfestival „Rock Under Broen“! Und auf den Booten war Party. Bierdosen wurden zu mir herübergeworfen (für die Abende natürlich). Die Übergabe von Schnaps scheiterte an den fiesen Böen. Das Ankerfeld schützte mich gut vor Wind und Wellen, aber ich musste Slalom fahren. Ich hätte gern für heute meinen gesetzlichen Feierabend eingeläutet.

***Dosengeschenk***

Steuerbord querab erkannte ich bald schon den Kayak-Klub von Strib, sie hielten gerade eine Tour-Besprechung ab. Eine Übungstour für ihre mit diesen Bedingungen weniger erfahrenen Mitglieder. „Die können mir ruhig mal helfen“, dachte ich, … „und mich auf ihrer Mini-Wiese übernachten lassen“. Im nahe gelegenen Discounter könnte ich dann ich einkaufen … Deren Anleiter ließ mich jedoch mit ihnen ums Kap paddeln, vorbei am Leuchtturm ‚Strib Fyr‘ mit seinem quadratischen Grundriss, um mir nahe gelegene Shelter zu zeigen. Das Gewässer vor Strib Fyr ist turbulent: Tide bedingte und andere Strömungen, Schweinswale… Doch Alberta lag ja so schön stabil im Wasser. Die Shelter waren dann leider schon belegt von Festivalbesuchern, palettenweise stapelten sich die Bierdosen. Also weiter. Ich hatte eine neue Idee: die bewaldeten Steilufer des Landvorsprungs „Röjle Klint“ umrunden und weit entfernt vom Festival auf dem Vejlby Camping übernachten. Röjle Klint war schön anzusehen; still und friedlich im Windschutz liegend, schien die inzwischen niedriger stehende Sonne zwischen dem Buchenlaub des wilden Steilufers hindurch. Möwen und andere Vögel belebten das Ganze. Wäre ich schlau gewesen, dann hätte ich mich hier für ein paar Stunden niedergelassen und ausgeruht. War ich aber nicht! Auf dem Camping hatte die Rezeption schon vorzeitig geschlossen, weil ausgebucht wegen des Festivals. Um die Kaps herum war mir die Entfernung zum „Rock Under Broen“ weit erschienen, aber mit dem Auto waren es gerade mal direkte 10 km. Die Inhaberin des kleinen Campingladens hatte ein Einsehen mit mir und ließ mich auf dem Mitarbeiter-Parkplatz mein Zelt aufbauen, was sich wegen der Windböen und dem sehr verfestigten Schotterbelag als schwierig erwies. Die Nägel hielten nicht und der Wind pustete das Zelt immer wieder weg. Schließlich band ich es an meinem, auf dem Boden liegenden, beladenen Kajak, einem Werbeschild und einem Begrenzungspfosten fest. Um Mitternacht wurde es lebendig, weil sich vermutlich sämtliche verfügbaren Taxis in 100 km Radius zum Festivalshuttle hier eingefunden hatten.

Sonntag, 12.06.2022. Ein Seniorenpaar aus der Schweiz, das hier im Wohnmobil ebenso wie ich notfallmäßig untergekommen war, beäugte mich unsicher. Auf mein Bitten um den aktuellen Wetterbericht tippte der Mann lange auf seinem Smartphone herum und verkündete mir schließlich stolz: „Es wird ein wunderbarer Tag – mit 14 Stunden Sonnenschein.“ Ich mochte nicht unhöflich sein und auch noch nach der Windstärke fragen. Um mich herum Abreise-Action wie auf einem Hauptbahnhof. Ich kam erst spät los, so gegen 12:00 Uhr. Ungefähr 6 Windstärken von achtern, doch in direkter Ufernähe keine großen Wellen. Heute hätte ich viel Strecke schaffen können, ließ mich jedoch langsam paddelnd dahintreiben. Eine Frau mittleren Alters ging im gleichen Tempo nah neben mir den Strand entlang, ohne dass wir miteinander geredet hätten. Im Schutz einer bewachsenen Düne tauchten Shelter auf. Sie sah sie sich an und rief dann zu mir herüber: „Its empty, its for you!“ — „Recht hat sie“, dachte ich und machte nach kaum einer Stunde paddeln Feierabend für den Tag.

***Nord Fyn Shelter***

Montag, 13.06.2022. Schon um 5.00 Uhr wachte ich auf und kam früh aus dem Shelter los. Heute lagen einige eher harmlose Herausforderungen vor mir: die Hafenmole von Bogense und die weiträumige Umfahrung der Vogelschutzgebiete östlich von Aebelö. Es wurde bald windiger. Als ich mich zum Umfahren der Hafenmole von Bogense vom Ufer entfernte, bauten sich im dunklen Wasser schnell höhere Wellen auf, die aber nicht brachen. Von hinten kommend hoben sie mein Boot sachte an und rollten unter mir durch. Im geschützten Lee der Mole lief Alberta bald darauf ruhig im strahlenden Sonnenschein nordostwärts, vom achterlichen Wind beständig geschoben. Schön! Nur die Seehunde zeigten sich diesmal nicht. Ich achtete darauf, nicht in Schutzgebiete einzufahren.

Bevor ich den Kurs auf Nord änderte, erblickte ich weit vor mir am landseitigen Ebbevej-Parkplatz eine Gruppe Wattwanderer, die zur Insel Aebelö, der Apfelinsel, gehen wollten. Ein ganz schön weiter Weg durchs Wasser. Mutig schritten sie auf dem durch Stangen markierten Ebbevej auf die Insel zu, bis sie schließlich fast hüfttief im Wasser wateten. Ein Paar war schon vorausgegangen und vom rechten Pfad ins Tiefere abgekommen. Rasch kehrten sie zur Gruppe zurück, deren größerer Teil jedoch bald aufgab und wieder das Festland ansteuerte. Aebelö würde ich mir gern einmal mit mehr Zeit ansehen, entweder per Kajak oder zu Fuß.

***Bei Bogense***

Weil bisher alles so gut geklappt hatte, sollte mir die weiträumige Umfahrung des östlich von Aebelö gelegenen großen Vogelschutzgebietes auch keine weiteren Schwierigkeiten bereiten, glaubte ich. Den türkis schimmernden Sandgrund des Agernaes Flak umfuhr ich in einem ganz großen Bogen weit draußen im offenen Wasser. Eine große, kompakte Gewitterwolke näherte sich rasch. „Das schaffe ich noch“. Rasch paddelte ich auf das gegenüber liegende Ufer zu, wo am Außenstrand Flyvesandet einige Fußgänger sichtbar waren. Die Gewitterwolke verdunkelte direkt über mir den Himmel, grummelte und rumpelte ein paarmal und war schon wieder weg. Geschafft! Pause im Sonnenschein an der bewaldete Landspitze Storskov. Karibik-Gefühle.

***Alberta beim Wald auf der Landspitze***

Auf Südostkurs ging es bei etwas abflauendem Wind weiter, an endlosen Ferienhausgebieten entlang. Südlich von Hasmark Strand landete ich auf dem Sandstrand vor einem der letzten Häuser an, bat um Trinkwasser und wollte die Abendflaute abwarten. Der Einheimische gab mir die gefüllten Wasserflaschen zurück und wies quer über die Bucht: „Da drüben liegt Korshavn (mein Startpunkt und Ziel) in gerade einmal 10 Kilometern Luftlinie“. Am Strand lag sein gelbes Seekajak. Wann würde ich es endlich begreifen? Es gab keine Abendflaute! Der Wind nahm wieder zu. „Ach, das bildest du dir doch nur ein“, dachte ich. „Stell dich nicht so an. So schlimm ist der Wind doch gar nicht.“ Eine Böe erfasste das gelbe Kajak und rollte es weg, bis es 20 Meter entfernt an der Steinbuhne hängen blieb.

Hier vor den Ferienhäusern konnte ich nicht übernachten. Es würde bald dunkel werden. Noch ein paar Kilometer an der bewaldeten Halbinsel Enebaerodde entlang paddeln, die Einfahrt zum Odense-Fjord überqueren und dann am Strand von Lodshuse mein Zelt aufbauen, war mein Plan. Die Odense-Fjord-Einfahrt war aufgewühlt – Strömung stand gegen den Wind, es dunkelte bereits – und ich fühlte mich nicht sicher. Am diesseitigen Enebaerodde Strand entdeckte ich einen Picknicktisch mit Bank, packte meinen Schlafsack aus und wartete die Nacht ab. Vielleicht morgen früh!

***Beim Odense-Fjord***

Dienstag, 14.06.2022. Ich wachte um 03:34 Uhr auf und startete bald darauf. „Wenn du früh aufstehst, kann ich das auch“, schien sich der Wind zu sagen. Zuerst wirkte die See ruhig, doch bereits nach etwa einem Kilometer, beim Überqueren der Einfahrt des Odense-Fjords, frischte der Wind erheblich auf. Ich war mal wieder ganz allein auf dem Wasser. Bei der Umrundung der Nordseite der hügeligen Halbinsel Skoven wurden die Wellen zunehmend größer. Schäumend brandeten sie gegen die zahlreichen Steine und Findlinge am Ufer. Auf Alberta rollten sie seitlich zu, was das Boot aber gut wegsteckte. Eigentlich hatte ich beschlossen, die Dalby Bugt bei diesen Bedingungen im weiten Bogen entgegen meiner generellen Richtung in Ufernähe auszufahren. Doch hätte ich mich danach mühsam gegen Wind und Welle kilometerweit wieder herausarbeiten müssen. Also direkt von Madehöje rüber queren nach Bogensö. Die Wellen von backbord querab wirkten respekteinflößend hoch aus meiner niedrigen Sitzposition. Manche brachen schäumend. Am Ufer von Bogensö ging es nun genau gegen Wind und Wellen nordwärts, entlang einer saisonbedingt noch weitgehend verlassenen Ferienhaussiedlung. Obwohl Mast und Segel gelegt waren ging es nur langsam voran und allmählich wurden mir die Arme lang.

Nun kam mein Plan B zum Tragen: An einem nicht bebauten Wiesengrundstück landete ich am steinigen Ufer an; die leichte Brandung trieb mein Kajak quer auf die Steine. Armes Boot! Rasch baute ich aus angeschwemmtem Seetang eine Rutschbahn über das Geröll und zog Alberta auf die Wiese hinauf. Der Feldweg hinter der Häuserreihe hieß Stenene. Ich erkundete den Weg in beide Richtungen und vermutete, ihn zunächst in südöstlicher Richtung gehen zu müssen, um dann dem Langövej nach Norden zu folgen. Vors Kajak gespannt, ließ sich die auf den Bootswagen geschnallte Alberta die 1,5 Kilometer bis zum geschützten Binnengewässer gut ziehen. Bald passierte ich einen Bauernhof aus Feldsteinen und wusste, dass ich richtig war, denn den kannte ich schon von meiner Internetrecherche. Bis auf eine Seniorin, die auf dem engen Asphaltweg halsbrecherisch in ihrem roten Kleinwagen an mir vorbei raste, blieb es ruhig. Die Sonne wärmte und es war windgeschützt. So ein Wanderurlaub kann auch schön sein, dachte ich. Völlig vertieft in den Anblick einzelner Häuser und deren Gärten wäre ich fast an der Bootsstelle vorbeigelaufen.

Kurze Pause, das kleine Segelchen gesetzt und ich konnte weiter paddeln. Zur Vorsicht befragte ich vorher einen Einheimischen danach, ob ich das so gut vor größeren Wellen geschützte Sumpfgewässer Lillestrand, das zum Teil unter Naturschutzgebiete stand, befahren dürfe. „Wenn du dich östlich der Insel Mejlö hältst, am Ufer von Nordskov entlang, dann bleibst du außerhalb des Schutzgebietes.“ Das stimmte mit meiner Recherche der Karten überein und ich startete. Gegen die hier nur kleinen Wellen anzupaddeln funktionierte gut, doch die Windböen drohten mein Kajak umzuwerfen. Also schnell das Segelchen geborgen. Ich achtete darauf, die Vogelschutzgebiete weiträumig zu umfahren. Als ich die Einfahrt von der offenen See in den Naturhafen Korshavn auf der Innenseite passierte, wurde es noch einmal ruppig: größere Wellen und Gegenströmung. Ich fuhr einen weiten Bogen um eine Kitesurferin, die rasant ihre Bahnen zog und landete um 11.30 Uhr exakt an dem kleinen Strand an, an dem ich vor 13 Tagen gestartet war.

„Hurra, ich habe Fyn Runt geschafft!“

***Fyns Hoved mit Shelter***

Eine Boots-Crew, von Poel hierher gesegelt, kam zu Fuß vorbei. Leider erst, nachdem ich Alberta bereits allein aufs Autodach gewuchtet hatte. Sie fragten, ob es mehrere Boote dieser Art gäbe und wieso ich schon hier sei, denn sie hatten mich bei Middelfart und Strib gesehen. „Nein, Alberta ist einzigartig.“ Die Nacht verbrachte ich auf dem Hügel über der Bucht im Shelter inmitten einer Rinderherde. Ein dänisches Ehepaar war auf Fahrrädern unterwegs. Sie hatten den Shelter für die Nacht gebucht und hatten, durch eine Decke abgetrennt, mich in die andere Hälfte eingeladen. Am Lagerfeuer sitzend genossen wir den großartigen Blick über Faellesstrand, Pughavn und Fyns Hoved. Wenn ich sie richtig verstanden habe, waren sie über die 18 km lange Storebaeltsbroen geradelt. Das sei nur einmal im Jahr erlaubt, nur in Ost-West-Richtung und mit Anmeldung. Hierzu würde eine Seite der Autobahn für die Radler gesperrt. Von ihrem Zuhause in Westdänemark waren sie zuvor wochenlang über Lolland und Sjaelland nach Korsör geradelt, um rechtzeitig zum Start des Events auf der richtigen Brückenseite zu stehen. Am nächsten Morgen badete ich im kühlen salzigen Seewasser auf Fyns Hoved.

Karibik, dachte ich. Kalte Karibik!

Christian Br.